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Depressionen

Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und zählen mit aktuell mehr als 5 Millionen Betroffenen zur Volkskrankheit in Deutschland und hinsichtlich ihrer Schwere zu den meisten unterschätzten Erkrankungen. Alle 57 Minuten nimmt sich ein Mensch in Deutschland das Leben. Laut WHO (World Health Organisation) haben sich Depressionen zur zweiten Volkskrankheit weltweit entwickelt. Alle 40 Sekunden stirbt weltweit ein Mensch durch Suizid, das sind jährlich rund 800.000 Menschen weltweit. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Damit gehört der Suizid zu den häufigsten Todesarten. Mit mehr als 9.215 Suiziden im Jahr 2021 (davon 74 % Männer und 26 % Frauen), was mehr als 25 Personen pro Tag sind, sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogenmissbrauch, Mord und HIV zusammen. Im Fernsehen wird über diese Todesursachen berichtet, über die Suizidenten wird geschwiegen. Verschiedenen Studien zufolge und auf die Lebensspanne betrachtet ist jeder 5. bis 6. Erwachsene von einer Depression betroffen. Die WHO geht davon aus, dass jeder Suizidtote 5 - 7 enge Angehörige hinterlässt. Bei den 15 bis unter 25-Jährigen ist der Suizid nach wie vor die häufigste Todesursache. Im Jahr 2020 starben 23,1 % der verstorbenen männlichen Personen und 19,8 % der verstorbenen weiblichen Personen dieser Altersgruppe durch Suizid, insgesamt starben 9.026 Menschen in Deutschland. Mein Sohn ist einer von ihnen!

Keine Erkrankung, wie die der Depression, wird so tabuisiert und todgeschwiegen. Sie ist heimtückisch und schlägt schleichend oder plötzlich zu. Ein Zustand den es nur schwer mit Worten zu beschreiben gilt. 

Jeder 5. Jugendliche unter 18 Jahren ist psychisch so krank, dass er behandelt werden muss. Bei 90% aller Suizidenten geht meist eine schwere psychische Krise voraus. Auch Kinder können an einer Depression erkranken. Daher wünsche ich mir, dass das Thema auch endlich Einzug in die Schulen erhält. Aktuell erkranken etwa 3 - 10 % aller Jugendlicher zwischen 12 und 17 Jahren an einer Depression. 

Die Pubertät birgt hier ein besonderes Risiko und die hormonelle Veränderung welche die Pubertät mit sich bringt. Aber was ist Pubertät und was sind Symptome einer Depression? Es ist oft schwer zu unterscheiden. Die Möglichkeit einer Erkrankung ist im Kindes- und Jugendalter besonders herausfordernd. Wo zieht man die Grenze von einer normalen Entwicklung im Jugendalter und was kann bereits auf eine Depression hindeuten? Bei meinem Sohn fing es mit 16 schleichend an. 

Mit 19 hat sich mir Timo (erst) anvertraut und unsere Geschichte fing an… in dieser Nacht hatte ich das Glück, dass mein Sohn den Suizid nicht vollzogen hat und wieder nach Hause kam - und zu mir kam. Er hat uns noch knappe 2 Jahre geschenkt. Auf mein Fragen, wie lange es ihm denn schon so schlecht geht und warum er nicht früher zu mir gekommen ist, zuckte Timo erst mit den Schultern und antwortete, dass es ein schleichender Prozess war und er lang selbst nicht wusste was mit ihm los ist und ob das vielleicht so als ein „Nebeneffekt“ der Pubertät dazugehört. Aber es wurde immer schlimmer und es sei so schwer darüber zu reden und auf einmal war es nicht mehr aushaltbar…

 

Die Depression zählt zu einer der schwersten Erkrankungen die man bekommen kann. Sie ist eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst, mit Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen einhergeht und ein erhebliches Leiden verursacht. Jede Depression ist so individuell wie wir Menschen es sind. Die Depression hat verschiedene Gesichter und ist sehr komplex. Keine Depression ist wie die Andere so wie ihre Ausprägung. Es gibt verschiedene Verlaufsformen. Man unterscheidet zwischen leichter-, mittelschwerer- und schwerer Depression oder der akut auftretenden Depression, sowie zwischen den Haupt- und Nebensymptomen.

Depressionen haben verschiedene Verlaufsformen, Schweregrade und unterscheiden sich in ihrer Art wie

z. B. Unipolarer Depression, Bipolare Depression, Depressive Verstimmung, Major-Depression, Psychotische Depression, Postpartale Depression – um ein paar zu nennen. Die häufigste Erkrankungsform ist die Unipolare Depression mit einer oder wiederkehrenden depressiven Episoden. Auch die Dauer einer Depression variiert von plötzlich akut auftretend, ein paar Wochen und bis hin zu einem jahrelangen Kampf. So wie es einzelne und wiederkehrende depressive Episoden gibt, können diese unterschiedlich lang sein. Sie ist auch oft davon abhängig wie schnell eine Behandlung einsetzt. Wer eine depressive Episode erleidet, hat eine Veranlagung zu dieser Erkrankung und damit ein hohes Rückfallrisiko, was bedeutet im Leben erneut an einer Depression – eine neue Episode zu erleiden. 

Suizide passieren nicht ausschließlich in einer akuten Episode. Zum einen nicht, weil der Betroffene in dem Moment nicht die Kraft hat. Aber auch in einer vermeintlich täuschend „guten Phase“ kann es zu einem Suizid kommen. Experten erklären dies so, dass wenn „die Entscheidung“ getroffen ist, eine innere Ruhe einsetzt, geradezu Erleichterung, dass es bald vorbei ist und dann auch wieder mehr Kraft da ist. Bei uns war es in einer schweren und tiefen depressiven Episode… 

Dann gibt es aber auch die suizidale Krise. Überlebende einer suizidalen Krise beschreiben diesen Moment bzw. ausweglosen Zustand so, dass sie sich in einer absoluten Ausnahmesituation befinden, wo das Leid und der Schmerz so übermächtig und unaushaltbar sind, ein unaushaltbarer Zustand größter seelischer und körperlicher Not. Dazu kommt die unsagbar große Verzweiflung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. 

Die Depression kann auch einen chronischen Verlauf verzeichnen. Depressionen liegen einer Stoffwechsel- und Funktionsstörung im Gehirn zur Grunde. Der Stoffwechsel im Gehirn funktioniert nicht mehr richtig, er entgleist geradezu. Die Botenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin werden nicht mehr in ausreichender Menge produziert. Die genauen Ursachen für eine Depression sind weitestgehend unbekannt. Verschiedene Faktoren wie genetische Veranlagungen, ein Mangel bestimmter Botenstoffe im Gehirn oder belastende oder traumatische Erlebnisse können verantwortlich sein.

Depressionen können jeden treffen, egal welches Alter, welches Geschlecht oder welchen sozialen Status man hat. Jeden – auch Dich! Selbst zu erkranken oder ein Hinterbliebener zu werden! Auch wenn sich schon einiges getan hat, ist das Tabu nach wie vor da. Die Stigmatisierung und wie über Depressionen in unserer Gesellschaft gedacht bzw. geurteilt wird, ist ein Grund warum sich Betroffene nicht öffnen. In unserer Ellenbogengesellschaft gibt es keinen Platz für Krankheit. Die mentale Gesundheit ein Schubladendenken. Depressionen sind keine Charakterschwäche, die sucht man sich nicht aus und haben nichts damit zu tun, dass man einen an der „Klatsche“ hat. Es ist eine sehr ernste und schwere Erkrankung. Je leichter der Verlauf, desto besser ist sie behandelbar. Jedoch ist das Suizid-Risiko bei Depressionen hoch. 10 – 15 % aller Betroffenen mit wiederkehrenden schweren depressiven Phasen sterben durch Suizid. 

Bei uns war die Depression nicht gut behandelbar! Auch wenn man um Hilfe bittet, heißt das nicht, dass man auch immer Hilfe bekommt. Zudem braucht es das Glück, in die richtigen Hände zu kommen, einen guten Arzt zu finden, sowie die passende Therapie und eine Therapie die anschlägt. Es gibt keinen pauschalen Fahrplan, nicht DEN Therapieplan. Eine Erkrankung, wo sich nicht mal die Ärzte immer einig sind. Wir mussten viele Hürden nehmen, wurden vor so manche Herausforderung gestellt und waren oft auf uns alleine gestellt. Unwissende können das Ausmaß der Erkrankung sowie die Ernsthaftigkeit nicht richtig einschätzen. Auch ich war mal eine Unwissende. 

Die Krankheit bestimmt den Alltag. In einer tiefen Phase der Depression ist man quasi zu nichts mehr in der Lage. Man kann nicht aufstehen und das Bett verlassen, da eine bleierne und so tiefe Erschöpfung einen lähmt. Sich was zu trinken zu holen – für einen gesunden Menschen kein Problem und nicht vorstellbar – für einen Erkrankten nicht machbar, da die Depression einen durch psychische und körperliche Antriebslosigkeit im Griff hat. Man möchte und kann nicht, man ist gefangen.

 

Und in diesen Momenten braucht es die Unterstützung durch das Umfeld. Abzunehmen und Verständnis zu zeigen und auch ernst zu nehmen z. B. mit den Worten: Ich glaube dir, dass das gerade aufgrund deiner Erkrankung nicht möglich ist und nicht das kann doch nicht so schwer sein, reiß dich doch etwas zusammen! Krank zu sein ist anstrengend und Schwerstarbeit und Erkrankte sind viel sensibler und nehmen sich alles sehr zu Herzen. 

Die meisten Erkrankten versuchen ihr früheres Ich aufrechtzuerhalten und zeigen nicht wie es ihnen wirklich geht und schon gar nicht mit was bzw. gegen was sie ständig ankämpfen, quasi eine Art Doppelleben und wird geschützt wie ein Geheimnis. Erkrankte wissen, dass sie nicht verstanden werden und verstanden werden können und sind sehr verständnisvoll mit ihrem Gegenüber. Denn sie fühlen sich schwach und geben sich dann noch mehr die Schuld daran und fühlen sich noch schlechter. Sie wissen um die unsichtbare Krankheit und würden sich wünschen sie wäre sichtbar. Die Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen bleiben unsichtbar und so für das Gegenüber nicht greifbar. Das gesellschaftliche Stigma erschwert rechtzeitige Hilfe für Betroffene. 

Erkrankte die in einer tiefen Depression stecken und die Depression die Überhand gewinnt können den Zustand nicht mehr aushalten. In besonders schweren Phasen der Depression, auch schwere depressive Episode genannt, werden die Symptome und Beschwerden um ein vielfaches schlimmer und schwerer erlebt. Der Leidensdruck wird und ist dann unsagbar groß, sodass die Todessehnsucht zunehmend wächst. In dieser extremen Krise ist der Betroffene gefangen und sieht in der Depression den Suizid als Lösung. 

Der Lebenswille schwindet in einer schweren Episode und man wünscht sich nichts sehnlicher als nicht mehr aufzuwachen damit ES endlich aufhört. Man möchte nicht sterben aber so nicht mehr weiterleben. Es ist der tägliche Kampf mit Lucifer, so beschrieb es mir mein Sohn. Als ich Timo sagte, ich würde alles für geben, wenn ich es dir doch nur abnehmen könnte, schüttelte er vehement den Kopf und sagte mit diesem unglaublich traurigen Blick: Nie darfst du meine Kopf haben, nie würde ich zulassen, dass du auch nur für eine Stunde meinen Kopf hast, es ist so so schlimm, das würde ich nie wollen! Glaub mir, meinen Kopf würdest du nicht haben wollen, das kann man nicht beschreiben, wie schlimm das ist! 

Diese Erkrankung nimmt bei einer gewissen Ausprägung bzw. schwerem Verlauf den natürlichen Lebenswillen bzw. Selbsterhaltungstrieb. In dem Moment des Suizides ist er quasi ausgeschaltet. 

Die Depression ist dein innerer Kritiker, der dir einredet ein Nichts zu sein, nichts zu können und nie zu genügen. Eine so tiefe Leere und ein unmenschliches Seelenleiden begleitet durch psychische und körperliche belastend und begleitende Symptome. 

Dieses „Funktionieren müssen“ ist bei Depressiven besonders stark ausgeprägt. In einer tiefen Phase der Depression verändert sich die Wahrnehmung des Erkrankten. Das Leben ist kein Leben mehr und jeglicher Lebensmut schwindet. Der Betroffene möchte nur dass es endlich aufhört und vorbei ist. In dieser Phase, in diesem Moment sind sie so weit von uns weg, so weit, dass wir leider kein Grund zum Bleiben sind und der Überzeugung, dass wir ohne sie besser dran sind. Bei bis zu einem Drittel aller Betroffenen soll eine therapieresistente Depression vorliegen. Dies war bei uns der Fall! 

Das Kämpfen gegen die Depression verlangt übermenschliches von dem Betroffenen ab. Es ist der tägliche und nächtliche Kampf gegen die Depression. Ein unfairer Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner, der sich alles von dir nimmt, ständig im Nacken sitzend lauert und du nicht weißt, was es als nächstes mit dir vorhat, was es sich als nächstes von dir nimmt. Man dagegen ankämpft, dass es nicht die Macht über einen hat und dennoch weiß man nie, wann es wieder zuschlägt oder wie lange man es noch schafft dagegen anzukämpfen. Bei Jenen die den Kampf einer schweren Depression geschafft haben, bleibt die Angst, dass die Depression eines Tages zurückkommt 

Es ist ein so breites, komplexes und endloses Thema… 

Ich wünsche mir, dass man Betroffenen sensibler, empathischer und ohne Vorurteile begegnet, aber auch mit dem nötigen Respekt, wie es anderen Betroffenen mit anderen schweren Erkrankungen entgegengebracht wird. Jeder sollte sich seiner Gesundheit bewusst sein und sie nicht als selbstverständlich ansehen. Es gibt so viele Krankheiten und wir alle wissen nicht was morgen ist. Ich wünsche mir, dass man sich erst informiert bevor man unwissend urteilt. In Zeiten von Google und Co wo alles Mögliche „gegoogelt“ wird, sollte dies doch auch möglich sein. 

Was würdest du dir wünschen, wenn DU krank werden würdest und was würdest du dir von deinem Umfeld wünschen? 

Es wäre mehr als wünschenswert, wenn sich Deutschland Dänemark zum Vorbild nehmen könnte, wie Suizidprävention auf nationaler Ebene gelingen kann. Hier wird schon in den Schulen mentale Gesundheit gefördert und Botschafter sprechen öffentlich über psychische Erkrankungen. 

STIGMATISIERUNG KOSTET LEBEN, DENN SIE VERHINDERT HILFE ! 

Der Welttag der Suizidprävention wurde von der International Association for Suicide Prevention (IASP) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das erste Mal für den 10. September 2003 ausgerufen. Dieser Tag steht seither dafür, um die Suizid-Prävention zu unterstützen um ein Zeichen zu setzen. In Gedenken an einen durch Suizid verlorenen Menschen und für die Hinterbliebenen eines durch Suizid verstorbenen Menschen. Bitte stellt am 10.09. um 20 Uhr ein Kerze in euer Fenster.

Seit 2004 - 2019 gibt es den Europäischen Depressions-Tag, dieser ist jedes Jahr am 01. Oktober. Seit 2020 ist der Europäische Depressions-Tag am ersten Sonntag im Oktober 

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