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Geschwister - die "doppelten" Verlierer

Sein Geschwister durch Suizid zu verlieren ist eine Lebenskatastrophe und ein traumatisches Ereignis. Wie ein Tsunami bricht es über sie einher und zerstört. Nichts mehr ist wie es war, eine neue Zeitrechnung beginnt. Geschwister erleben nach der Todesnachricht ihres Bruders oder ihrer Schwester den inneren Zusammenbruch und es folgt der Schock. Sie werden aus dem bisher geglaubten sicheren Leben herauskatapultiert – auch ihre Welt steht nun still und alles fühlt sich so surreal an! 

Wie tragisch, in so jungen Jahren so ein einschneidenden und lebensverändernden Verlust erleben zu müssen. Wie unfassbar und unbegreiflich! 

Geradezu entwurzelt stehen sie nun vor den Trümmern ihres Lebens. Auch Sie haben Angst vor dem Abschiednehmen, wenn sie dies möchten und sofern dies überhaupt möglich ist, Angst vor der Beerdigung und wie es danach weitergehen soll.

Sie leiden unter ihrer eigenen immensen Trauer und verlieren zusätzlich ihre früheren Eltern. In ihrem eigenen abgrundtiefen Schmerz, werden sie mit dem Schmerz der Eltern konfrontiert. Selbst das Unaushaltbare aushalten müssen und die Eltern so leiden zu sehen ist für die hinterbliebenen Geschwister nicht zu ertragen. Sie haben das Gefühl nun stark sein zu müssen. Nie wieder werden ihre Eltern die sein, die sie vor diesem Schicksalsschlag waren. Das ganze Familiengefüge wird durchgewirbelt und gerät aus dem Gleichgewicht. Nichts mehr ist wie es einmal war und wird es je wieder sein. Jeder hatte seinen Platz – es sortiert sich alles neu. Wie einschneidend das ist, ist auch davon abhängig, ob das Geschwister noch daheim gelebt hat oder bereits ausgezogen war – zurück bleibt das leere Zimmer… 

Verwaiste Geschwister die ihr einziges Geschwister verloren haben fühlen sich nun als „Einzelkind“. 

Geschwister sind an sich ihre längsten Lebensbegleiter und haben eine besondere Beziehung zueinander. Sie haben sich von Geburt an und wachsen zusammen auf, sind sich engste Vertraute und die Verbündeten gegen die Eltern. Als Geschwister ist man vielleicht zum ersten Mal mit dem Tod eines so nahestehenden und geliebten Menschen konfrontiert. 

Auch verwaiste Geschwister fühlen sich verlassen und sind schwer verwundet. Sie verlieren das Vertrauen in das Leben und die Sicherheit die es bis dato gab wurde ihnen  genommen. Auch sie versuchen das Unbegreifliche zu verstehen und bleiben verwaist zurück. Viele sind traumatisiert, leiden und haben mit intensiven Gefühlen und quälenden Gedanken zu kämpfen. Zur Trauer kommen Scham, Wut und große Schuldgefühle so wie unzählige Fragen wie z. B. War ich es nicht wert zu bleiben? Warum hast du mich verlassen? Warum hast du mir nichts gesagt? Warum habe ich nichts gemerkt? U.v.m. Das Geschwister fehlt unsagbar, sie vermissen ihn/sie unendlich! 

Auch sie kämpfen um ein Überleben und ein mögliches Zurückfinden in das Leben, sowie  mit den zahlreichen Gefühlen, Gedanken und Fragen, aber auch dem grundsätzlichen Thema Vertrauen. Und das braucht Zeit, ganz viel Zeit. Genau wie wir durchleben Geschwister diese heftigen und so unbekannten Trauergefühle und Trauerreaktionen. Man erkennt sich selbst nicht wieder und manche dieser Gefühle können beängstigend sein.

Lebensbestimmend ist auch, wie das Geschwister vom Tod erfahren hat oder ob es sogar selbst das Geschwister gefunden hat. Niemand kann einen darauf vorbereiten, so wie es niemand abnehmen kann – aber man kann ein „Wegbegleiter“ sein. Geschwister werden sich mit Ihren so unterschiedlichen Gefühlen, Empfindungen und Trauerreaktionen selten an ihre Eltern wenden, da sie ihre Eltern schützen wollen. Geschwister machen leider viel mit sich selbst aus. Daher ist es wichtig und wünschenswert, dass immer jemand für sie da ist! Sei gewiss, sie werden es euch nie vergessen. 

Generell ist wichtig, zu versuchen, Geschwisterkindern so viel Normalität als möglich zu bieten und Vertrautes beizubehalten, aber auch zu zeigen, dass man für das Geschwister immer da ist. 

Die Sorge und die Angst, selbst an einer Depression zu erkranken und ein Elternteil zu verlieren - die Angst, vor einem Folgesuizid. So wie wir die Angst haben, dass das Geschwister seinem Geschwister folgen könnte – berechtigte Ängste. Wer kann einem diese Sorgen und Ängste nehmen, wenn man diese lebenseinschneidende Erfahrung machen musste, die einen bis in Mark erschüttern lies. Es gibt keinen Garant, dass diese Lebenskatastrophe nicht nochmal passiert. 

Hier ist nun auch das Umfeld gefragt, es ist so wichtig und bedeutsam, dass nun auch Familie und Freunde für die Geschwister da sind. Es ist wichtig, dass sie in dieser Zeit auch „stabile“ und nicht überforderte erwachsene Bezugspersonen haben. Auch hier gilt DASEIN, ZUHÖREN und AUSHALTEN. Immer wieder verschiedene Angebote machen und sich regelmäßig melden! Dran bleiben, auch wenn Angebote abgelehnt werden. Sie wissen jeden der für sie da ist mehr als zu schätzen, auch wenn sie es in diesem Moment nicht zeigen können. So wie es auch prägend ist, wer es nicht ist bzw. war.

Sie brauchen auch „Trauerauszeiten“ und es ist erforderlich auch mal aus dem Trauerzuhause rauszukommen. Geschwistern aber auch ihre Rückzugsmöglichkeiten und Ruhezeiten zu ermöglichen. Auch verwaiste Geschwister trauern unterschiedlich, sowie Kinder anders trauern als junge Erwachsene. Die Schwerpunkte und Herausforderungen sind je nach dem Alter des verwaisten Geschwister anders. 

So gibt es verschiedene Anlaufstellen und Literatur um sich Hilfestellung mit dem Umgang und Unterstützung für trauernde Geschwister zu holen, aber auch um einen möglichen Kontakt für das Geschwisterkind, sofern es dies möchte, herzustellen. 

Manche Geschwister wünschen sich, dass lieber sie gestorben wären. Fragen sich, ob die Eltern auch um sie so trauern würden. Manchmal kann es auch passieren, dass Eltern nach dem Verlust ihres Kindes in ein so tiefes Loch fallen, dass sie es für eine gewisse Zeit nicht schaffen, für das zurückgebliebene Geschwister da zu sein.

 

Keiner kann sich nur im Ansatz vorstellen, wie unglaublich schwer und mutig es für verwaiste Geschwister ist, erste Schritte zu gehen. Der erste Schritt vor die Tür, wem begegnet man und wie reagiert das Gegenüber. Das erst Mal wieder in die Schule, die Ausbildung oder in die Uni zu gehen. Das erste Treffen mit Freunden, das erste Mal zum Sport, das erste Mal die Freunde des verstorbenen Geschwister treffen, das erste Weggehen, die erste anstehende Prüfung u.v.m. egal was, alles stellt sie nun vor eine Probe. 

Und keiner, wie herausfordernd und immens schwer jeder weitere Schritt in diesem Danach ist, egal wieviel Zeit vergangen ist. 

Darüber hinaus passiert es immer wieder, dass verwaiste Geschwister in die Situation kommen ihr verstorbenes Geschwister zu verteidigen. Und egal was sie machen, sie machen es nun alleine und mit diesem unsichtbaren untragbaren Lebensrucksack – können Erlebnisse und Ereignisse nicht mehr mit ihrem Geschwister teilen oder es wie früher um Rat fragen und um Hilfe bitten. Geschwister werden oft in ihrem eigenen Schmerz und ihrer Trauer nicht gesehen bzw. übersehen. Trifft jemand auf ein verwaistes Geschwister, wird sich nach der Mutter erkundigt, aber kaum einer fragt dem sich gegenüberstehenden Geschwister, wie es aktuell zurechtkommt oder ob man dem Geschwister etwas helfen kann – es wird nahezu übersehen! Ihre Trauer erfährt wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung. Oft wird auch durch weitere verletzende Aussagen geradezu Druck auf die trauernden Geschwister ausgeübt, wie: Du musst jetzt stark und immer lieb zu deiner Mutter sein. Und schau, dass sie sich keine Sorgen um dich machen muss. Diese Ansprache, man mag es nicht glauben, hat mein Sohn direkt am Friedhof als er am Grab seines Bruders stand erfahren…!

Euch lieben trauernden Geschwistern möchte ich mitgeben: 

Vergesst nie und denkt immer dran, du warst und bist ein toller Bruder und du warst und bist eine tolle Schwester! 

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